Stellt euch vor, ihr könntet nicht nur physisch höher springen, sondern hättet auch eine viel klarere Vorstellung davon, WIE ihr springt, WARUM ihr euch verbessert und WOFÜR ihr das alles macht. Eine aktuelle Studie aus dem International Journal of Kinesiology & Sports Science hat genau diesen Zusammenhang untersucht und einen revolutionären Trainingsansatz vorgestellt: das Wahrnehmungs- und Bewusstseinsmodell (Perception-Awareness Model). Holt euch in diesem Blogpost neuen Input!
Die Grundidee: Mehr als nur Muskeltraining
Bisher konzentrierte sich Sprungkrafttraining im Volleyball oft fast ausschließlich auf die physische Komponente: Plyometrie, Kraftübungen, Sprints. Der oder die Spieler:in wurde dabei oft als “Ausführende:r” eines Programms gesehen. Diese Studie bricht mit diesem traditionellen Modell.
Sie kombiniert das klassische physische Training mit einem systematischen Training der Wahrnehmung und des Bewusstseins. Die zentrale Frage war: Was bringt es, wenn Spieler:innen nicht nur ihre Leistung verbessern, sondern diese Verbesserung auch bewusst erleben, verstehen und aktiv mitgestalten?
Der Studienaufbau:
An der Pilotstudie nahmen 12 wettkampferfahrene Volleyballerinnen teil. Das Training erstreckte sich über 12 Wochen und war in drei intelligente Phasen unterteilt:
- Allgemeine Kraftgrundlage (Wochen 1-4):Aufbau einer soliden Basis mit Kniebeugen, Ausfallschritten und Rumpfstabilitätsübungen.
- Explosivkraft & Plyometrie (Wochen 5-8):Hier kam der “Boost” durch Tiefensprünge, Box Jumps und Widerstandssprints, um die schnellen Muskelfasern maximal zu fordern.
- Technikintegration (Wochen 9-12):Alles wurde spielspezifisch umgesetzt – Sprünge im Block und Angriff unter maximaler Explosivität und Zeitdruck.
Das „neue“ Element: Parallel zum körperlichen Training wurden die Athletinnen in einem speziell entwickelten Fragebogen (siehe Tabelle 1 im Paper) in drei Phasen befragt:
- Vor dem Training:“Wie bewusst bist du dir deiner aktuellen Sprungfähigkeiten?”
- Während des Trainings (nach 6 Wochen):“Wie sehr hat sich dein Bewusstsein verbessert? Wie motiviert bist du?”
- Nach dem Training:“Wie zufrieden bist du mit dem Einfluss des Trainings auf deine Leistung?”
Die Ergebnisse: Ein Doppelerfolg für Körper und Geist
Die Auswertung war eindeutig und beeindruckend:
- Physische Leistung:Die Sprunghöhe, gemessen mit dem Vertec-Gerät, stieg signifikant an. Die Verbesserungen sind statistisch belegt.
- Kognitive Leistung:Die Ergebnisse des Fragebogens zeigten einen deutlichen und stetigen Anstieg der Selbstwahrnehmung und des Bewusstseins. Die Spielerinnen wurden sich nicht nur ihrer Fähigkeiten immer klarer bewusst, sie waren auch zufriedener und motivierter. Alle Vergleiche zwischen den Zeitpunkten waren signifikant.
Was bedeutet das konkret FÜR DICH als SPIELER:IN?
Diese Studie gibt dir mehr als nur die Bestätigung, dass Krafttraining wichtig ist. Sie gibt dir Argumente und Werkzeuge für deine eigene Entwicklung:
- Du bist nicht nur ein “Ausführender”:Deine eigene Einschätzung, dein Bauchgefühl und dein Bewusstsein sind genauso wichtig wie die gemessene Sprunghöhe. Nimm dich selbst ernst!
- Aktive Reflexion ist Training:Nimm dir nach dem Training bewusst 5-10 Minuten Zeit. Stell dir Fragen wie: “Wie hat sich mein Sprung heute angefühlt?” “Wann war ich besonders explosiv?” “Was hat mir beim Landen Stabilität gegeben?” Dieses mentale Review ist genauso wertvoll wie eine weitere Übung.
- Motivation kommt von Innen:Wenn du deine Fortschritte nicht nur in einer Tabelle siehst, sondern sie auch FÜHLST und VERSTEHST, steigert das deine Motivation und dein Selbstvertrauen immens. Du siehst den Sinn hinter der Anstrengung.
- Sprich mit deinem/er Trainer:in:Teile deine Beobachtungen und dein gesteigertes Körperbewusstsein. Dieser Dialog kann das Training für die ganze Gruppe verbessern.
Was bedeutet das konkret FÜR EUCH als TRAINER:INNEN?
Hier liegt das größte Potenzial für einen Paradigmenwechsel im Training. Die Studie liefert euch die wissenschaftliche Grundlage, euren Ansatz zu erweitern:
- Vom “Command-Stil” zum “Partizipativen Stil”:Statt nur Anweisungen zu geben, bindet die Spieler:innen aktiv ein. Fragt sie nach ihrer Einschätzung, ihrem Empfinden. Schafft eine “Lernumgebung” statt eines “Befehlsumfelds”. Dies entspricht dem im Paper genannten ökologisch-dynamischen Ansatz.
- Der Fragebogen als Blaupause:Ihr müsst nicht das Rad neu erfinden. Die Fragen aus der Studie (siehe Tabelle 1) sind eine perfekte Vorlage, um ein einfaches Feedback-System in euer Training zu integrieren. Das kann digital oder ganz einfach am Whiteboard geschehen.
Hier der Fragebogen als Download:
Wahrnehmungs-Bewusstseins-Fragebogen
- Ganzheitliche Leistungssteigerung:Ein Training, das sowohl die physischen als auch die kognitiven Fähigkeiten fördert, ist nachhaltiger und effektiver. Zufriedene, motivierte und selbstbewusste Spieler:innen sind leistungsstärkere Spieler:innen.
- Stärkung des Teamgefühls:Die Studie beobachtete, dass der gemeinsame, reflektierte Prozess die Gruppendynamik und den Teamzusammenhalt stärkte. Ihr trainiert also nicht nur Individuen, sondern formt ein Team.
- Praktische Umsetzung:Baut nach bestimmten Trainingseinheiten oder am Ende der Woche eine kurze Reflexionsrunde ein. Nutzt Videoanalysen nicht nur zur Fehlersuche, sondern auch, um gelungene Aktionen und das darin liegende Bewusstsein zu highlighten.
Methodenkritik
“Die Studie liefert einen spannenden Denkanstoß, aber wir sollten die Ergebnisse mit Vorsicht genießen. Ohne eine Vergleichsgruppe, die ‘normal’ trainiert hat, können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass der mentale Boost der entscheidende Faktor war. Die kleine Anzahl an Spielerinnen und der kurze Testzeitraum sowie die subjektiven Fragebögen machen die Ergebnisse zudem etwas wacklig. Die Idee ist also genial und vielversprechend, aber um sie als ‘Game-Changer’ zu bezeichnen, braucht es noch größere und besser kontrollierte Studien.”
Diese Kritikpunkte schmälern nicht den Wert der Studie als Pilotprojekt und Ideengeber, aber sie sind essenziell, um die Ergebnisse realistisch einzuordnen und nicht voreilige Schlüsse zu ziehen.
Fazit: Der Kopf springt mit
Die Studie zeigt: Die reine Fokussierung auf Zentimeter und Sekunden ist veraltet. Der Schlüssel zur nächsten Leistungsstufe liegt in der Integration von physischem Training und kognitiver Entwicklung.
Für Spieler:innen bedeutet das: Hört mehr auf euren Körper, reflektiert eure Leistung und versteht das “Warum” hinter den Übungen.
Für Trainer:innen bedeutet das: Entwickelt euch vom reinen “Driller” zum “Entwickler von bewussten Athlet:innen”. Schafft Räume für Dialog, Reflexion und gemeinsames Lernen.
Indem wir sowohl die Muskeln als auch das Bewusstsein trainieren, heben wir unser Spiel auf ein völlig neues Niveau – im wahrsten Sinne des Wortes.
Quelle:
D’Isanto, T. et al. (2025). New Training Method Approach On Perception-Awareness To Improve Sport Performance On Volleyball Athletes. International Journal of Kinesiology & Sports Science, 13(1), 64-71.
https://journals.aiac.org.au/index.php/IJKSS/article/view/8388