Aktuell zieht die auf Netflix verfügbare Volleyball-Serie „Haikyu!!“ immer mehr männlich Jugendliche in ihren Bann. Während primär Kinder und Jugendliche diese Sendung konsumieren, sollten eigentlich auch Vereinsvorsitzende oder der deutsche Volleyball-Bund diese aktuelle Entwicklung ernst nehmen. Der Grund könnte ein möglicher Boom sein, wie der Aufschrei durch „Mila Superstar“ unter den jungen Mädchen von 1994 bis 1997. Doch Moment, gibt es eigentlich belegbare Zahlen und statistische Beweise für den Mila-Boom? Auch wenn zahlreiche ehemalige und auch teils noch aktive Volleyballspielerinnen in Interviews die Serie als den Ausgangspunkt ihrer Karriere angeben (e. g. Heike Beier, Susanne Pfeiffer, Saskia Hapke, Ina Schulze, and Veronika Vlaskova), so wurde bisher noch nie eine Studie zur Anime Serien und der der deutschen Volleyball-Entwicklung durchgeführt. Bisher! Denn der Sportökonom Dr. Daniel Weimar von der Universität Duisburg-Essen hat ein Arbeitspapier zum Mila-Effekt verfasst und die Volleyball-Mitgliedszahlen aus den 1990ern ausgewertet.

Hallo Daniel, wie kommt man als Sportökonom auf die Idee sich mit einem Volleyball-Anime zu beschäftigen?

Im Interview: Dr. Daniel Weimar

Dies war eher einem Zufall geschuldet. Ich war selbst sehr großer Fan der Serie in meiner Kindheit. Vor ca. 1 Jahr bin ich per Zufall wieder über das Intro des Animes auf YouTube gestoßen. Da kam mir im Moment des emotionalen Rekapitulierens die spontane Idee die DOSB-Zahlen, welche ich noch aus einem anderem Projekt auf dem PC hatte, auf die Entwicklungen Mitte der 90er zu checken. Und was ich dort in den Rohdaten sah, wollte ich zunächst nicht glauben und habe dann ausführlichere statistische Analysen angestellt.

Und was genau hat Dir den Atem verschlagen?

Der Ausschlag in den Anmeldezahlen bei den weiblichen Kindern und Jugendlichen unter 18. Von 1994 bis 1997 sind die Mitgliedszahlen um 77% von 61.137 auf 108.526 gestiegen. Das sind im Durchschnitt 15.796 pro Jahr. Zum Vergleich, die Wiedervereinigung hat lediglich 2.832 zusätzliche Mädchen unter 18 in das deutsche Volleyballsystem geholt. In einer anderen empirischen Studie haben wir ermittelt, dass die Austragung von internationalen Turnieren im eigenen Land durchschnittlich Wachstumsraten von 3% unter Jugendlichen einer Sportart induzieren. Nehmen wir diese zwei Vergleichsdaten, dann ist der Einfluss von „Mila“ enorm.

Wie kann man statistisch sicher sein, dass der Effekt wirklich durch den Anime hervorgerufen wurde?

Dafür haben wir statistische Methoden genutzt, welche Kontrollgruppen benötigen und die Annahme stellen, dass es zu dieser Zeit keine anderen großen Einflussfaktoren gab. In der Sportökonomie sind derartige Einflussfaktoren vor allem Heimevents und der Gewinn von internationalen Turnieren. Auch wenn die Volleyball-Damen für die eigenen Verhältnisse eine gute Zeit in den 90ern hatten, so konnten keine absoluten internationalen Erfolge verzeichnet werden. Auch nach Rücksprache mit der Deutschen Volleyballzeitung und dem DVV war mein Fazit, dass kein anderes Großereignis in dieser Zeit die Entwicklungen erklären könnte. Das macht „Mila“ und Volleyball so wertvoll im Vergleich zu den Animes „Kickers“ und „Captain Tsubasa“ und Fußball. Dort sind auch starke Anstiege in der Zeit zu sehen, aber es lagen auch zahlreiche Erfolge bei EM und WM vor, sodass wir keine sicheren kausalen Aussagen treffen können.

Welche Kontrollgruppen habt Ihr genutzt?

Wir hatten verschiedene Kontrollgruppen, welche uns ebenfalls ermöglicht haben, verschiedene andere allgemeine Faktoren wie Änderrung im Schulsystem, allgemeine Nachfrage nach Hallensport oder andere Trends auszuschließen. Zunächst fanden wir signifikante Unterschiede zu Senioren und Damen Volleyballzahlen. Die Mädchen hatten diesbezüglich eine um ca. 22% höhere jährliche Wachstumsrate. Gegenüber den Jungs U18 waren es 16%. Demnach hatte der Anime vermeintlich sogar einen 4%-7% Sogeffekt auf Jungs. Anschließend haben wir die Mädchenzahlen im Volleyball mit den Daten aus den olympischen Ballsportarten Fußball, Handball, Tennis, Tischtennis, Basketball und Feldhockey verglichen. Auch hier zeigte sich durchschnittlich um 20% höheres jährliches Wachstum. Für die Jungs war es zwischen 6-10% – im Vergleich zu Fußball und Basketball gab es jedoch keine Unterschiede.

Konnte die Serien denn ein langfristiges Wachstum erzeugen?

Leider nein. Direkt im Jahr nach Ende des Animes, fielen die Wachstumszahlen auf vorherige Raten zurück und absolut sind die Anmeldungen bis heute stets gefallen. Jedoch muss man sagen, dass sogar noch 2019 mehr Mädchen Volleyball spielen (66.137) als in der „Vor-Mila-Zeit“ (61.137) und es haben zwischendurch auch nie wieder weniger Mädchen Volleyball gespielt. Aufgrund von klassischen Freundeseffekte hat sich der Mila-Effekt also bis in die heutige Zeit gezogen. Ein Grund für ein fehlendes stabiles Wachstum könnten auch Kapazitätsgrenzen in der Vereinen gewesen sein. IN einem Artikel von 1998 wurde berichtet, dass innerhalb kurzer Zeit aus einem Mädchenteam sechs Teams wurden. Diese Team benötigen Trainer und – viel kritischer – Hallenzeiten

Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus der Volleyball Manga-Serie Mila Superstar
Die zwölfjährige Mila Ayuhara kämpfte sich ganz nach oben!

Wie kann man wissenschaftlich erklären, dass Kinder über die Serien zum Sport kommen?

Es gibt diesbezüglich verschiedene Ansätze. Wir begründen uns auf Effekte des sogenannten Konsumkapitals und Rollenmodell-Effekten. Im Fall des Konsumkapitals, führt Konsum eines Gutes zur steigenden Wertschätzung und Nutzen. Da die Anime-Serie Grundlagen des Volleyballspiels (Regeln, Spielzüge, Sieg, Niederlage, Kampfgeist) vermittelt, lernen die Kids das Spiel zu verstehen und wertzuschätzen. Da die Serien verschiedene Charakter und Persönlichkeitstypen portraitiert, fangen Kinder zusätzlich an sich mit fiktiven Charakteren zu identifizieren und eifern diesen nach. Mal ehrlich, wer aus dieser Zeit hat nicht versucht mit einem Volleyball im Schulunterricht das „Fallende Blatt“ als Aufgabe zu schlagen HAHA.

Das Foto zeigt Mila Superstar als Motiv für ein Volleyballtattoo auf der Wade!
Mila Superstar ging für einige Fans bis unter die Haut.

Gibt es ähnliche Effekte in anderen Sportarten bzw. Animes?

Tatsächlich ist dieser Effekt kaum empirisch untersucht. Es gibt eine Studie von 2016, welche eine Grafik aus dem japanischem Basketball Mitte der 90er zeigt, eine Zeit als dort eine Basketball-Anime Serie lief. Der Kurvenverlauf ist ziemlich identisch zu unseren Ergebnissen. Aus Frankreich stammt eine 1991 und 1993 erschienene Studie, welche Volleyballmädchen nach dem Auftreten des Volleyball-Animes „Jeanne et Serge“ befragt haben. Auch dort fanden viele Mädchen plötzlich den Weg in den Volleyball. 40% der Mädchen gaben damals an, wegen der Serien zum Volleyball gefunden zu haben. 34% hatten Vorbilder in Anime Charakteren.

Könnte Haikyu!! Einen ähnlichen Boom unter männlichen Jugendlichen auslösen?

Schwierig zu sagen, da die Serie nicht im Free-TV läuft. Interessant wäre es, wenn ARD/ZDF oder Private Fernsehsender diese Serien in das regelmäßige Tagesprogramm aufnehmen würde. Aber auch bei Streaming-Diensten ist der Zugriff bei Kindern und Jugendlichen ja hoch, jedoch sind die Kinder, nicht zwingend der Serie ausgesetzt. Früher bei RTL2 wurde einfach von 14 bis 17 Uhr geschaut – egal was kam ? Streaming hat wiederum aber den Vorteil, dass die Serie und einzelne Folgen beliebig oft wiederholt werden können und so emotional wertvolle Folgen öfters wiederholt werden könnten. Ich würde daher tatsächlich einen Effekt erwarten, aber fern ab des Mila-Booms von durchschnittlich 30% Wachstum im Jahr.

Löst Haikyuu den nächsten Volleyball Boom aus? Foto: https://wallpaperboat.com/haikyuu-wallpapers

Vielen Dank für die Informationen zur Studie. Die Studie ist aktuell unter Begutachtung bei einer Zeitschrift und bis zur Veröffentlichung als Arbeitspapier gerne bei Daniel Weimar angefragt werden (daniel.weimar@uni-due.de).