Gastartikel von Ferdi Stebner

Achtung: gesellschaftskritischer Beitrag. Nichts für schwache Volleyballer-Nerven!

Ich bin so erleichtert, dass ich nicht schlafen kann. Stattdessen schreibe ich mitten in der Nacht diesen Text und lese nebenher spannende Kommentare zu einem aktuellen Facebook-Post des TuS Herten. Ihr wollt wissen, warum Volleyball zwar eine tolle Sportart ist, sie aber keiner ernst nimmt? Dann lest weiter!

Das Foto zeigt Gastautor Ferdi Stebner nach der gewonnen Meisterschaft 2017 in der NRW Oberliga.

Gastautor Ferdi Stebner ist promovierter Lehr-Lernforscher an der Ruhr-Uni Bochum, er absolvierte selbst ca. 200 Bundesligaspiele für Moers und Bottrop, und war bis April 2017 Trainer und Projektleiter im TuS Herten Volleyball. Ehrenamtlich berät er neben dem TuS Herten sowohl Volleyballverbände als auch andere Vereine im Bereich Vermarktung.

Die Suche hat ein Ende

Warum bin ich erleichtert? Ich bin erleichtert, weil ich heute nach 15 Jahren Suche endlich gefunden habe, was uns Volleyballer jeden Tag so sehr stresst. Ich spielte zehn Jahre Bundesliga und war enttäuscht, wie Moers und Bottrop sich in der Öffentlichkeit präsentierten: nämlich nahezu gar nicht. Dann schuf ich gemeinsam mit vielen anderen ein Projekt, mit dem wir innerhalb von drei Jahren zeigen konnten, dass der Sport, das Niveau und die Stadt egal sind: man kann Großes schaffen, wenn man systematisch und authentisch ein Projekt aufbaut, alle mitnimmt und sich auf die Stärken der Sportart und jedes Einzelnen konzentriert. Sportlich gesehen, aber eben auch bezüglich der Vermarktung:

  • Wir gewannen mit Team #1 des TuS Herten drei Meisterschaften in Folge
  • Wir erhöhten die Zuschauerzahl von 50 auf 400
  • die Anzahl der Follower bei Facebook wuchs von 150 auf über 4.000
  • die neuen „Sponsoren“ sprachen uns von alleine an, ohne dass wir sie akquirieren mussten

Die Menschen besuchten kostenlos unsere Spieltage, vergaßen für zwei Stunden ihre Sorgen und genossen die Zeit. Sie spürten, dass da etwas Einzigartiges gewachsen war, wovon sie selbst ein Teil waren. Wir taten der Stadt, ihren Bürgern und der Sportart gut. Aber warum eigentlich? Na weil wir uns trauten, einen alternativen Weg zu gehen. Wir entwickelten ein modernes Kommunikationskonzept, lebten es gemeinsam und schrieben im Sinne unseres Leitbildes viele kleine mutige Geschichten.

Volleyball zu konservativ?

Vor wenigen Wochen telefonierte ich dann mit den Chefs verschiedener Volleyball-Verbände. Sie riefen mich an und fragten, ob man dieses Hertener Konzept in adaptierter Version nicht auch auf die Verbände anwenden könne. „Natürlich“, sagte ich und sicherte zu, sie zu beraten. Aber was ich heute schon weiß, ist, dass dies nicht leicht wird, denn Volleyball-Deutschland ist so furz-konservativ wie Hundescheiße am Schuh nervig ist. Eine frische Anekdote erklärt unser aller Problem:

Das Foto zeigt den TuS Herten beim Hinterfeldangriff in der Regionalliga gegen SG SV Werth /TuB Bocholt

Volleyball-Regionalligaspiel vom 21.01.2018: Tus Herten vs SG SV Werth /TuB Bocholt (Foto: André Chrost)

TuS Herten spielt gegen SV Werth in der Regionalliga. Werth gewinnt verdient mit 3:1 in einer gut gefüllten und sehr lauten Halle. Stimmung prächtig, trotz Niederlage. Die TultraS (unsere Fans), vor denen bis vor kurzem alle Angst hatten, werden inzwischen geliebt und sorgen für gute Laune. Projekt funktioniert und wird gelebt, könnte man denken. Wir übertragen mit RE-TV, einem kleinen lokalen Sender, live bei Facebook. Darauf sind wir stolz. Ich spiele den Kommentator und versuche, die Leute zu unterhalten und unseren Spielerinnen ein einmaliges Gefühl zu geben: im Fernsehen zu sein und sich selbst beim Spielen zuschauen zu können, denn es wird zeitgleich auch aufgezeichnet. Es ist damit also alles vorbereitet für epische Erinnerungen: jetzt muss man nur noch etwas riskieren und super spielen, um stolz auf sich sein zu können.

In der entscheidenden Situation des vierten Satzes leistet sich der junge Schiedsrichter zwei Fehler. Soweit kein Problem. Das passiert und ist menschlich. Werth nutzt die Verwirrung besser und macht kurzen Prozess. Werth gewinnt. Die Interviews nach dem Spiel sind traumhaft. Werth dankt uns für den tollen Spieltag; es war ihr Saison-Highlight. Also: alle glücklich. Daraufhin posten wir abends einen konservativen Beitrag bei Facebook. Matchball plus Trainer- und Spielerstimmen. Damit informierst Du; Du gewinnst damit aber keinen Blumentopf! Einen Tag später präsentieren wir bewusst die zwei Ausschnitte, bei denen der Schiri nicht gut aussah. Es werden viele Emotionen gezeigt. Und hier beginnt das (gewollte) „Drama“…


Der besagte Facebook-Post. Wenn du ihn nicht sehen kannst, musst du dich bei Facebook anmelden.

Präsentieren wir etwa Fehler? Wagen wir es? Fragen wir unsere Follower sogar nach ihrer Meinung? Ja! Na klar. Wir sind in Deutschland. Hier darf man das. Und wir sind im Sport. Da gewinnt man. Aber da verliert man auch. Als Mannschaft genauso wie als Schiri. Keine Maschinen. Weder auf dem Feld noch auf dem Schiri-Stuhl. Das wusstet Ihr doch wohl hoffentlich. Der Schiri wusste mit Erlangen der Lizenz auch, dass er in der vierten Liga in Deutschland anderen Druck verspüren wird als in den unteren Ligen. Das wollte er so. Das ist ja irgendwie auch der Reiz! Und Leute: Ohne Öffentlichkeit und ohne Spitzen in der Übertragung keine Emotionen!

Was wir schließlich mit unserem Post erreichen: 50% Zustimmung, 50% Entsetzen, 100% Emotionen. Positiv und negativ, sowohl bei Externen (sogar Bundesliga-Spielern) als auch bei Teilen des eigenen Vereins. Die meisten davon waren nicht in der Halle. Ein Löschen des Beitrages wird des Öfteren gefordert. Mein Fazit: Projekt nicht verstanden.

Wagen wir einen Vergleich: Sorgt eine Schiedsrichter-Fehlentscheidung in der Fußball-Bundesliga für eine Existenz bedrohende Niederlage des 1. FC Köln, so würde danach tage- und wochenlang nur darüber berichtet. Für uns Fußball-Fans inzwischen normal! Schiri-Experten kommen zu Wort, der Schiri selbst wird interviewt und Fans rasten aus. Positive Nebenwirkung: die (richtigen) Fans verbinden sich noch stärker mit den Spielern und dem Club. Liebe kann entstehen. Beim Volleyball dürfen wir das nicht. Warum nicht? Weil das Volleyball ist. Also fast Tennis oder Golf.

Das Foto zeigt den Fanclub TultraS beim Anfeuern während eines Spiels des TuS Herten

Die TultraS in Aktion beim Volleyballspiel des TuS Herten (Foto: André Chrost)

Wollen wir mit dem Volleyballsport etwas erreichen in Deutschland, so müssen wir in die Herzen der Bürger. Lassen wir (auch in stressigen Phasen) keine Nähe oder Intimes zu, so schaffen wir keine Voraussetzungen dafür. Nur Emotionen aus Siegen zu produzieren, das reicht nicht. Verletzungen, Niederlagen, Fehler, Abstiege, Ängste usw. gehören genauso dazu, um authentisch zu wirken. Man darf ruhig auch mal rumschreien. Nur als Co-Trainer von der Trainerbank aufstehen; das verbietet der zweite Schiri… P.S. Lächerlich!

Seid offen für Alternatives!

Meine Empfehlung für ganz Volleyball-Deutschland, für jeden Verband, für jeden Club und für jeden Spieler: wehrt Euch nicht gegen Alternatives, öffnet Euch. Es reicht nicht aus, eine Petition für mehr Volleyball in den Öffentlich-Rechtlichen zu unterzeichnen, um etwas zu erreichen. ARD und ZDF können es sich DERZEIT nicht leisten, diese Sportart zu präsentieren, weil das, was wir da DERZEIT mit der Nationalmannschaft, der Bundesliga (mit wenigen Ausnahmen) und den kleinen Ligen veranstalten, nicht ausreicht. Es ist stellenweise sogar peinlich. Und damit erreichen wir zu wenige Menschen. Es liegt daran, dass die meisten Macher entweder nicht kreativ sind, ihr Konzept nicht leben oder sich nicht trauen, etwas zu wagen. Und wer nicht bereit ist, einen Fehler zu machen, der wird niemals in der Lage sein, etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Das zählt für den Aufschlag bei 23:24 genauso wie für die Vermarktung; in der Bundesliga wie in der Bezirksliga.

Sind wir Volleyballer also zu gut erzogen und zu empathisch, um gesamtgesellschaftlich erfolgreich zu sein mit unserer Sportart? Oder sind wir gar zu wenig selbstkritisch? Was ist der Grund, warum Volleyball nix kann? Es ist offensichtlich nicht nur die Sorge vor Neid und Eifersucht der Erfolglosen, sondern vor allem richtige ANGST! Die Angst, aus der Reihe zu fallen und im Rampenlicht zu stehen, um mit Kritik umgehen zu müssen. Dabei spielen die Vereine, die Spieler, die Fans und auch die Offiziellen (wie z.B. die Schiedsrichter) eine Rolle. Alle sind gleichwohl am Erfolg des Sports beteiligt.

Ich will mit diesem Post niemanden belehren oder ärgern. Ich will bloß dafür sensibilisieren, dass wir uns in Volleyball-Deutschland nicht wundern müssen. Wir sind zu degressiv. Bei der Durchsicht der Facebook-Accounts „attraktiver“ Vereine wurde mir deutlich: mit Sonnenschein und Rosenduft („Juchu, wir haben gewonnen“) werden wir nur einen kleinen Teil der Gesellschaft erreichen. Vermutlich nur die, die uns eh lieben. Und es wird sich so auch nichts ändern, denn in der richtigen Welt gibt es auch Angst, Niederlagen und Kritik. Behalten wir unseren „Stil“ oder wollen wir erfolgreich sein? Beides zusammen geht wohl eher nicht. Das haben wir ja in den letzten Jahrzehnten gesehen.

Also Leute: Umdenken ist angesagt! Leistung ist wichtig. Offensive Vermarktung ist aber mindestens genauso wichtig. Wofür sonst die gute Leistung? Habt keine Angst! Traut Euch! Und rechnet damit, dass Volleyball demnächst auch mal auf der Titelseite der BILD-Zeitung stehen könnte. Welch ein Drama dies wohl wäre…

Ich habe übrigens mit dem Schiri über unseren Post und diesen Text hier telefoniert: Ich soll schöne Grüße ausrichten – die Aktion war natürlich abgesprochen.

Liebe Grüße, Ferdi Stebner

P.S. Ich, der ich das Spiel kommentierte, wurde übrigens auch in Kommentaren kritisiert, und zwar von Externen, die wiederum kritisierten, dass wir den Schiri kritisiert hätten. 😉 Ich finde Kritik an mir gut. So muss das sein. Danke fürs Mitmachen!


Der VolleyballFREAK-Newsletter

Trag dich jetzt zum VolleyballFREAK-Newsletter ein und verpasse keine Blogartikel mehr.

  • Wir geben deine E-Mail NICHT an Dritte weiter
  • Der Newsletter ist jederzeit wieder abbestellbar
  • Bildschirmschoner mit Fotos vom DVV-Pokalfinale 2017 als kleines Dankeschön