Die Challenge ist im internationalen Spitzenvolleyball nicht mehr wegzudenken. Landläufig wird Volleyball als Schach mit 150km/h bezeichnet. Dass in diesem schnellen Sport Schiedsrichter:innen nicht immer alles mit absoluter Sicherheit korrekt entscheiden können, ist klar. Aus diesem Grund ist in der Volleyball Bundesliga (VBL) der Männer ein Challenge-System etabliert worden, welches nach der Testphase in der laufenden Saison 2023/24 schrittweise Einzug in die unteren Ligen erhalten soll.

Was sind die konkreten Pläne des DVVs?

Das in dieser Saison schrittweise flächendeckend eingeführte Challenge-System in Eigenregie in der Volleyball Bundesliga der Männer ist Pate für die Einführung des schrittweisen Challenge-Systems in allen Volleyball-Ligen. In der 2. Bundesliga bzw. 2. Bundesliga Pro der Frauen erfolgt die Einführung mit Saisonbeginn 2024/25. In allen weiteren Ligen erfolgt die Umsetzung in kleineren Schritten in der kommenden Saison.

Was sind die Ziele der Einführung?

Mithilfe der Challenge sollen Fehlentscheidungen minimiert werden, da bereits ein einzelner Spielzug entscheidend für den gesamten Spielverlauf sein kann. Wieviel Bedeutung die Trainer:innen der Challenge zuweisen, zeigt ein Wert aus der vergangenen Bundesligasaison: In Spielen mit Challengetechnik kam diese im Schnitt sieben Mal zum Einsatz (Pressemitteilung der VBL vom 8. Dezember 2023)

Hintergrund zur Einführung

Ergebnis der Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) von 2023/23 war, dass in allen untersuchten Ballsportarten die Vereine angaben, dass 72,5% von ihnen „häufig bis sehr häufig“ ihre Spiele mit Kameras aufnehmen würden, 43,6% streamen diese auch „häufig bis sehr häufig“. Die Zahlen nur für Volleyball waren jeweils noch 3% über diesen Werten. Da bei vielen Volleyball-Vereinen das Thema Streaming schon Alltag sei, liegt der nächste Schritt – das Bildmaterial für die Unterstützung der Schiedsrichter:innen zu nutzen – nicht fern. 

Wie genau sieht die technische Umsetzung des Challenge-Systems aus?

Für die Durchführung des Challenge-Systems wird kein externer Dienstleister mit etwaigen weiteren Kosten benötigt. Stattdessen erfolgt die technische Umsetzung der Challenge in Eigenregie der Clubs mithilfe der bereits vorhandenen Streamingkameras und -technik. Pate ist hier das „Challenge-System light“ der Volleyball Bundesliga und des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV).

Welche technische Ausrüstung ist nötig?

  •     4 oder mehr Kameras
  •     Challenge System light Software auf dem Streaming-Rechner sowie dem Tablet für das Schiedsgericht
  •     Internet Hotspot 

Wer darf was wie häufig „challengen“?

Das Challenge-System funktioniert folgendermaßen: Jedes Team hat pro Satz die Möglichkeit, zwei Challenge-Anträge zu stellen. Wenn eine Challenge erfolgreich ist, gewinnt das Team den Spielzug und behält die Challenge. Nach zwei erfolglosen Challenge-Anträgen kann das Team erst im nächsten Satz erneut den Videobeweis anfordern. Auch das Schiedsgericht kann Spielsituationen proaktiv überprüfen, wenn bei der Beurteilung Unsicherheit besteht. Neben der Entscheidung darüber, ob ein Ball sich „im Spielfeld” oder „Aus” befindet, können auch Block-, Netz- und Antennenberührungen, Übertritte über die Grund-, Angriffs- und Mittellinie sowie Bodenberührungen innerhalb des Spielfeldes überprüft werden.

Alle Möglichkeiten sind in der VBL-/DVV-Challenge Regulations (Version 5, wird z. Zt. noch überarbeitet) geregelt.

Einschränkungen des Challenge-Systems

Je nach technischer Ausstattung vor Ort werden nicht alle Situationen aufgelöst werden können. In diesen Fällen gilt die ursprüngliche Entscheidung des Schiedsgerichts.

Konkrete Fallbeispiele

Beispiel 1

Team A schlägt auf. Das Schiedsgericht entscheidet auf „Aus“. Team A zweifelt die Entschiedung an und nimmt eine Challenge. Der/ Die 1. Schiedsrichter:in  kann sich (unter Zuhilfenahme des/ der 2. Schiedsrichterin) mittels Tablet und Challenge System light Software die Bilder noch einmal ansehen und entscheiden und so

  •     die Entscheidung bestätigen (Team A verliert damit einen Challenge-Antrag für den laufenden Satz)
  •     die Entscheidung korrigieren (Team A behält weiter zwei Challenge-Anträge)

Beispiel 2

Team A greift an und macht einen Punkt. Team B hat bei Angriffsspieler:in A eine Netzberührung gesehen und nimmt eine Challenge. Die Videobilder geben keinen Aufschluss. Die Entscheidung des Schiedsgerichts bleibt bestehen. Team B behält weiter zwei Challenge-Anträge.

Beispiel 3

Team A greift an. Das Schiedsgericht ist unsicher, ob der Ball „in“ oder „aus“ ist und möchte die Videobilder nutzen. Anhand dieser trifft es die Entscheidung Ball „in“. Der Punkt geht an Team A. Keines der Teams verliert einen Challenge-Antrag. 

Roadmap: Wie sieht der zeitliche Fahrplan für die Umsetzung aus?

  •     Zwischen Juni 204 und September 2024 freiwillige Schulungsworkshops zur Einführung des Challenge-Systems
  •     Beginn der Saison 2023/24: Flächendeckende Einführung des Challenge-Systems in der 2. Bundesliga (Pro) Männer und Frauen
  •     In allen Dritten Ligen sowie Ligen der Landesverbände bis Verbandsliga (oder adäquat, mit externem/ zentralen Schiedsrichter:innen-Einsatz) erfolgt die Einführung schrittweise
  •     In allen Dritten Ligen sowie Ligen der Landesverbände bis Verbandsliga (oder adäquat, mit externem/ zentralen Schiedsrichter:innen-Einsatz) ab der Rückrunde verpflichtender Einsatz
  •     Jugend: Bei allen Finalturnieren der Landesverbände verpflichtender Einsatz
  •     ab 2025/26 verpflichtender Einsatz des Challenge-Systems in allen Hallenvolleyball-Ligen (Erwachsene/ Jugend/ BFS) 

Verwertung des Videomaterials auf zentraler Digital-Plattform des DVVs

Auch bei der Verwertung des Videomaterials geht der DVV einen weiteren Schritt auf seiner Digitalisierungs-Agenda. Alle überprüften Szenen/ Clips können automatisiert zu Schulungszwecken auf die neue digitale Plattform des DVVs hochgeladen werden. Diese Folgeplattform von VolleyPassion wird im Sommer vom DVV gelauncht (Pressemitteilung des DVVs) . Volleyballfreak wird hierüber berichten.

Meinungen zur geplanten Einführung des Challenge-Systems des DVVs

Felix Probar (DVV Schiedsrichterausschuss | IT & Video)

Alle Tests des Challenge System light sind erfolgreich verlaufen. Die Rückmeldung aller Beteiligten war durchweg positiv. Für uns als innovativen Verband ist klar, dass wir dieses Mittel nicht nur dem Spitzensport, sondern perspektivisch allen Volleyballer:innnen zur Verfügung stellen möchten. Mit SAMS Score haben wir einen ersten Schritt getan. Challenge System light ist aber ein echter Entwicklungssprung und wird helfen, Volleyball unter den Ballsportarten noch beliebter zu machen.

Wir haben in den vergangenen Monaten hart gearbeitet – und der DVV und ich freuen uns auf die praktische Anwendung, die die kommende Saison zu der fairsten aller Zeiten machen wird.

Björn Barnick (B-Schiedsrichter; pfeift bis 2.Bundesliga (Pro) und Schiedsrichterwart Beach im WVV)

Ich finde es sehr gut, dass zukünftig auch in unteren Ligen das Challengesystem eingeführt wird. Wenn wir mal ehrlich sind, pfeifen doch gerade dort die schlechteren Schiedsrichter, die das viel nötiger haben. Wenn ich mich an meine Saisons in Oberliga und 3. Liga erinnere, hätte ich heutzutage wohl noch deutlich volleres Haar. 

Kai Vogel (Trainer MTV Köln, Regionalliga Frauen)

Ich persönlich betrachte die Einführung des Videobeweises als sehr sinnvoll. Die Trainer arbeiten heutzutage bereits oft mit Videounterstützung im Training. Diese Technik kann problemlos und ohne großen Aufwand am Spieltag integriert werden. Zudem beobachtet man auch in den unteren Spielklassen seit der Corona-Pandemie die Digitalisierung des Sports in Form von Video-Streaming.

Einen großen Vorteil des Challenge-Systems sehe ich u.a. in der Erklärbarkeit des schnellen Spiels. Für den Zuschauer ist eine Schiedsrichterentscheidung nicht immer sofort zu erkennen. Hier klärt der Videobeweis beispielsweise eine Blockberührung unweigerlich auf. Somit wird nicht nur für die Teams, sondern auch für die Zuschauer ein Mehrwert entstehen. Unser geliebter Volleyballsport wird verständlicher und attraktiver zugleich.

Georg Münz (C-Schiedsrichter, Trainer & Funktionär Meckenheimer SV, Regionalliga Männer)

Na super, da läuft die Professionalisierung des Volleyballs mal wieder schneller als der Volleyball selbst. Ich sehe schon die ersten Grundschulhallen, in denen die Spieler bei den wenigen Abwehraktionen, die bei den Deckenhöhen noch möglich sind, die Kameras umtreten. So lange sich weiterhin so wenige Sponsoren insbesondere in den unteren Ligen für den Volleyballsport einsetzen und die Vereine mit Brettern und Wäscheklammern Punkte zählen müssen, da sie kein Geld für die überteuerten und ramschigen Anzeigetafeln haben, brauchen wir uns nicht über verpflichtende Streams zu unterhalten. 

Auch wenn die dadurch gewonnene Fairness ihren Reiz hätte, was würden wir nur ohne die vielen ehrlichen Emotionen tun, die uns regelmäßig die Verbandsliga-Heimschiris mit ihren kreativen Entscheidungen bescheren, zumal die Doppelberührung ja wahrscheinlich nicht überprüft werden kann, was für mich die Urmutter aller Ungerechtigkeiten im Volleyball ist.

Einschätzung von Volleyballfreak

Mit der Einführung des Videobeweises auch in den unteren Klassen wagt der DVV einen echten Schritt hin zu mehr Fairness. Gespannt dürfen wir sein, wie Spieler:innen, Trainer:innen und auch Zuschauende mit dem Mittel umgehen werden. Sollte von technischer Seite alles klappen und sich das Finden einer Entscheidung zeitlich in Grenzen halten, werden schnell alle Kritiker:innen verstummen. Wichtig wird sein, die technischen Hürden für alle Beteiligten sehr gering zu halten und durch die angekündigten Workshops Befürchtungen und Ängste zu nehmen. Dann dürfte diese Neuerung ein voller Erfolg werden!