Im Beachvolleyball, einem schnellen und taktisch-komplexen Spiel, ist die Aufschlagentscheidung eine der wenigen direkten Einflussmöglichkeiten auf den Spielverlauf. Die Auswahl, ob Spieler:in A oder B den gegnerischen Aufschlag bekommt, kann darüber entscheiden, ob man die Kontrolle über den Spielrhythmus gewinnt oder verliert. Dabei greifen Teams nicht nur auf technische und taktische Aspekte zurück, sondern auch auf psychologische Theorien und Intuition. Eine dieser Theorien ist die sogenannte “Hot Hand” – die Idee, dass Spieler:innen, die gerade besonders gut performen, sich in einer Art “Lauf” befinden und weiterhin gut spielen werden.

Auf wen und warum aufschlagen?
Ein Forschungsteam um Antonia Schubert, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen, hat genau diesen Glauben untersucht: Gibt es die “Hot Hand” im Beachvolleyball wirklich? Glauben Trainer:innen und Spieler:innen daran? Und vor allem: Wie beeinflusst dieser Glaube das taktische Verhalten im Spiel? Die Ergebnisse stammen aus mehreren Studien mit Spieler:innen und Trainer:innen der deutschen Beachvolleyball-Nationalkader. Der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse dieser Forschung zusammen, erklärt die Methoden und diskutiert die Implikationen für Training und Wettkampf – auch im Hinblick auf eine mögliche Regeländerung, die Coaching während des Spiels erlauben könnte.
Was ist das “Hot Hand”-Phänomen? Einfach erklärt
Das “Hot Hand”-Phänomen stammt ursprünglich aus dem Basketball und beschreibt die Idee, dass ein:e Spieler:in, die oder der gerade mehrere Punkte hintereinander gemacht hat, besonders “heiss” läuft – also mit höherer Wahrscheinlichkeit auch den nächsten Punkt erzielen wird.
Dieses Phänomen widerspricht in gewisser Weise der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie, die davon ausgeht, dass vergangene Ereignisse unabhängig von zukünftigen sind (z. B. beim Würfeln). Doch der Glaube an “Momentum” ist weit verbreitet. Im Volleyball würde das bedeuten, dass Spieler:innen, die gerade mehrfach erfolgreich angegriffen haben, absichtlich nicht mehr mit dem Aufschlag angespielt werden, weil man ihnen aktuell einen weiteren Erfolg zutraut. Oder umgekehrt: Man spielt gezielt Spieler:innen an, die gerade Fehler gemacht haben.
Doch funktioniert das wirklich? Oder handelt es sich um einen kognitiven Trugschluss, der zu taktischen Fehlentscheidungen führt? Genau das wurde in den folgenden Studien untersucht.
Das Studiendesign: Drei Studien, ein Ziel
Das Forschungsteam führte drei Studien mit Spieler:innen und Trainer:innen der deutschen Beachvolleyball-Nationalteams durch. Ziel war es, zu verstehen:
- Ob an die Hot Hand geglaubt wird,
- Wie gut Spieler:innen zwischen stabilen und instabilen Leistungsphasen unterscheiden können,
- Welche Rolle dieser Glaube in echten Spielsituationen spielt.
Studie 1: Trainer:innen und ihr Glaube an die Hot Hand
Die erste Studie befragte die Nationaltrainer:innen systematisch dazu, ob sie an das Phänomen glauben und wie es ihre Aufschlagentscheidungen beeinflusst. Das Ergebnis war eindeutig:
Studie 1 zeigte, dass 4 von 6 Nationaltrainern an die Hot Hand glauben.
Ein Großteil der befragten Trainer:innen gab an, dass Spieler:innen, die in einem Lauf sind, dazu führen, dass sie ihre taktischen Entscheidungen entsprechend anpassen.
Studie 2A: Kognitive Leistung der Spieler:innen
In einem computergestützten Experiment sollten Spieler:innen des Kaders anhand von Sequenzen die Spielstärke von hypothetischen Spieler:innen beurteilen. Die Studienautor:innen wollten herausfinden, ob die Spieler:innen in der Lage sind, Basisraten (also durchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeiten) korrekt einzuschätzen.
“In einem Experiment mit den Kaderspielern zeigte Studie 2A, dass Unterschiede in den Basisraten gut erkannt, jedoch Veränderungen in den Basisraten nicht wahrgenommen wurden.”
Das bedeutet: Spieler:innen konnten grundsätzliche Stärken erkennen, aber Leistungsentwicklungen über die Zeit nicht korrekt einschätzen. Ein Spieler, der z. B. im Turnierverlauf besser oder schlechter wurde, wurde von den Athlet:innen als konstant eingeschätzt.
Studie 2B: Wahrnehmung im realen Wettkampf
In einer Feldstudie (Studie 2B) wurden reale Spielsituationen analysiert, in denen Spieler:innen selbst über ihre Einschätzungen zur Leistung der Gegner:innen befragt wurden. Auch hier zeigte sich, dass
“Die Hot Hand als wichtig angesehen wird, aber die Veränderung von Basisraten eines Spielers über einen Wettkampf selten erkannt wird.”
Die Spieler:innen glaubten an Hot-Hand-Muster, konnten aber Leistungsdynamiken nicht zuverlässig identifizieren. Daraus ergibt sich ein potenzielles Problem für die Spieltaktik: Fehlwahrnehmungen beeinflussen reale Entscheidungen.
Ergebnisse und ihre Bedeutung für den Spielalltag
- Der Glaube ist real, aber nicht fundiert
Sowohl Trainer:innen als auch Spieler:innen glauben mehrheitlich an die Hot Hand. Dieser Glaube beeinflusst nachweislich taktische Entscheidungen – etwa, wen man als Aufschlagziel wählt oder eher meidet. Doch die empirische Basis für diesen Glauben ist dünn.
“Wir schließen daraus, dass die Spieler:innen die Relevanz von Serien wahrnehmen, sie aber falsch interpretieren.”
- Fehlende Wahrnehmung von Dynamik
Spieler:innen erkennen Unterschiede in der Leistung, aber nicht deren Entwicklung. Das heißt: Eine gute oder schlechte Phase wird als grundsätzliche Eigenschaft interpretiert, statt als temporäres Phänomen. - Konkreter Einfluss auf Aufschlagstrategie
In der Analyse zeigte sich, dass viele Aufschlagentscheidungen aufgrund der wahrgenommenen Serie getroffen wurden. Das kann zu ineffizienten Entscheidungen führen, wenn z. B. ein Spieler gerade eine “Glückssträhne” hatte, aber eigentlich leichter ausrechenbar ist.
Regeländerung: Coaching bald erlaubt?
Eine besonders interessante Entwicklung ist die Diskussion um eine Regeländerung im internationalen Beachvolleyball, nach der Coaching während des Spiels (hier das genaue Regelwerk) testweise erlaubt werden soll.
Das hätte massive Auswirkungen auf:
- Die Eigenständigkeit der Spieler:innen, die bislang selbst taktisch denken müssen
- Die Qualität der Entscheidungen, weil Coaches objektiver beurteilen (und evtl. datenbasierter arbeiten)
- Die Spielsteuerung, die dann flexibler und adaptiver wird
Diese Regeländerung wird für die Eigenständigkeit und Mündigkeit der Athleten und Teams sicher einen Unterschied machen.
Die Debatte bleibt spannend: Während manche mehr Kontrolle für das Trainer:innenteam begrüßen, sehen andere die Gefahr, dass Spieler:innen weniger selbstbestimmt spielen.
Fazit: Zwischen Bauchgefühl und Statistik
Die Forschung zeigt deutlich: Der Glaube an die Hot Hand ist weit verbreitet und hat reale Auswirkungen auf die Spielstrategie. Doch gerade weil dieser Glaube auf Wahrnehmungsverzerrungen basiert, lohnt sich eine kritische Reflexion. Trainer:innen und Spieler:innen sollten sich fragen:
- Welche Entscheidungen treffe ich aus Intuition?
- Wo kann ich mit Daten oder Videoanalyse besser einschätzen?
- Wie kann ich mich gegen mentale Trugschlüsse wappnen?
Mit der möglichen neuen Coachingregel wird sich das Zusammenspiel zwischen Wahrnehmung und Analyse weiter verschieben. Klar ist: Der Volleyballsport wird taktisch komplexer – und wissenschaftliche Erkenntnisse wie diese helfen, den Durchblick zu behalten.
Hauptautorin Antonia Schubert

Antonia Schubert hat das “Hot-Hand”-Phänomen wissenschaftlich untersucht. Foto: privat
Ein großes Dankeschön geht an Antonia Schubert, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Tübingen sowie Beachvolleyball-Trainerin bei Volleyballfreak-Camps und Workshops, für die inspirierende Zusammenarbeit. Ihre Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbindung von Sportpraxis und Wissenschaft im Volleyball.
Quelle/ Referenz
Schubert, A., Ittlinger, S., Lang, S., Link, D., & Raab, M. (2025). Hot hand im Beachvolleyball: Gibt es sie wirklich? Leistungssport, 55(4), 30-35.